Manchmal sind es diese kleinen Momente, die große Erkenntnisse bringen. Neulich saß ich mit meinem Freund Gabe zusammen – oder besser gesagt: mit Gabe(S). Warum das S? Keine Ahnung mehr, wie das angefangen hat. Irgendwann nannte er mich Jörn(S), ich nannte ihn Gabe(S), und wir haben uns das schön mit „S steht für SUPER“ zurechtgelegt. So sind Freundschaften eben.
Jörns und Gabes
An diesem Abend kamen wir natürlich auf meine Mission zu sprechen. Die Klima- und Biodiversitätskrise. Mein ewiges Thema. Gabes kennt das schon. Er hört zu, nickt, und dann kommt er mit seiner typischen Direktheit: „Jörns, Jörns, Jörns, das bringt doch alles nichts, solange wir unsere alten Dreckskarren nach Afrika exportieren!“
Boom. Da saß ich. Weil er natürlich einen Punkt hatte. Während wir hier über E-Mobilität diskutieren, verscherbeln wir unsere alten Diesel nach Afrika. Zynisch? Absolut. Verlogen? Keine Frage. Was soll ich da noch sagen?
Screenshot des Tagesschau-Beitrags
Aber dann passierte etwas, was ich mir nicht hätte ausdenken können. Am nächsten Tag – wirklich am NÄCHSTEN Tag – teilte unser Kollege Patrick(N) – das N dient hier einem Zweck, nämlich der Unterscheidung zu Patrick(G) a.k.a. Danger – in unserer Teamsitzung einen Artikel. Ich traute meinen Augen nicht: Äthiopien verbietet den Import von Verbrennern. Komplett. Radikal. Nur noch E-Autos dürfen ins Land.
Mein erster Gedanke? Das muss ich Gabes schicken. Aber dann fiel mir ein: Sein Vater kam aus Äthiopien. Geboren im Teil, der heute Eritrea heißt. Auch Gabes wurde in Eritrea geboren. Die Ironie war zu perfekt. Das Land seiner Ahnen, sein (sprichwörtliches) Vaterland macht genau das Gegenteil von dem, was er kritisiert hatte. Statt unsere Dreckskarren zu importieren, sagen sie: Nein danke, wir machen’s gleich richtig.
Die Message an Gabes schrieb sich praktisch von selbst: „Schau mal, das Land deiner Ahnen zeigt uns, wie’s geht!“
Aber damit nicht genug. Am GLEICHEN Tag – ich schwöre, auch das kann man sich nicht ausdenken – teilte Maja Göpel einen weiteren Artikel. Sieben Länder weltweit beziehen über 99,7 % ihres Stroms aus erneuerbaren Energien. Rate mal, welche zwei afrikanischen Länder dabei sind? Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo.
Screenshot des Independent-Beitrags
Gabes antwortete: „Die Verbrecher aus dem Norden nehmen nicht nur die alten Autos, sondern scheren sich einen Dreck um regenerative Energie…. Mehr afrikanische Länder, als Europäische!“
Wisst ihr, was mich daran so fasziniert? Wir schauen immer nach USA und China, wenn’s um Klimapolitik geht. Dabei passiert in Afrika gerade etwas Revolutionäres. Afrika – größer als Nordamerika, dreimal so groß wie Europa. Und ausgerechnet dort, wo viele nur Probleme sehen, entstehen die Lösungen der Zukunft. Äthiopien, die Wiege der Menschheit, wird zur Wiege der Verkehrswende. Poesie oder was?
Die Gründe sind clever: Äthiopien hat massenhaft günstigen Strom aus Wasserkraft. Warum also teure Treibstoffe importieren, wenn man mit lokalem, sauberem Strom fahren kann? Die Regierung subventioniert E-Auto-Importe. Klar, die Ladeinfrastruktur fehlt noch, die Kaufkraft ist gering. Aber sie machen es trotzdem. Sie warten nicht auf perfekte Bedingungen. Sie handeln. Und das ist der Punkt, der mich umhaut: Während wir hier endlos diskutieren, ob E-Mobilität wirklich die Lösung ist, ob die Batterien nicht zu problematisch sind, ob die Reichweite ausreicht – machen andere Länder einfach. Bumm. Verbrenner-Import verboten. Diskussion beendet.
Findige Unternehmen bieten sogar den Umbau von Verbrenner-PKW zu Elektofahrzeugen an.
Die Geschichte mit Gabes zeigt mir wieder mal: Unsere Ausreden ziehen nicht mehr. „Die anderen machen ja auch nichts“ – von wegen! „Wir können Afrika nicht vorschreiben, was sie tun sollen“ – müssen wir auch nicht, sie sind schon weiter! „Aber unsere Wirtschaft…“ – deren Wirtschaft geht mit erneuerbaren Energien offensichtlich auch nicht den Bach runter!
Forscher sagen inzwischen: Der Wandel zu sauberer Energie ist nicht nur erreichbar, er ist unvermeidlich. Die Technologie wird besser, die Preise fallen, und – das ist der Knaller – Solarenergie wird bis 2050 weltweit zur wichtigsten Stromquelle. Nicht in 100, sondern in 25 Jahren!
Ich denke an Gabes und seine Skepsis. Verständlich, absolut. Wir haben so viel Mist gebaut, so viel versprochen und nicht gehalten. Aber vielleicht ist es genau diese Skepsis, die uns lähmt. Vielleicht glauben wir selbst nicht mehr daran, dass Veränderung möglich ist.
Dabei zeigen uns Länder wie Äthiopien: Doch, es geht. Man muss nur wollen. Man muss nur anfangen. Man muss nur den Mut haben zu sagen: Ab jetzt machen wir’s anders.
Diese ganze Episode hat mich nachdenklich gemacht. Welche Geschichten erzählen wir uns eigentlich, die uns davon abhalten, für eine sauberere Welt zu kämpfen?
„Afrika braucht unsere alten Autos“ – Nein, tut es nicht. „Entwicklungsländer können sich Klimaschutz nicht leisten“ – Können sie doch. „Wir müssen auf die großen Player warten“ – Müssen wir nicht.
Jede dieser Geschichten ist eine Ausrede. Eine Rechtfertigung fürs Nichtstun. Und jede wird gerade von der Realität überholt.
Gabes hat mir unbewusst ein Geschenk gemacht. Seine Kritik war der Anstoß, genauer hinzuschauen. Und was ich gefunden habe, macht Mut: Die Welt verändert sich. Schneller als wir denken. Nur eben nicht immer dort, wo wir hinschauen.
Das hier dient nicht einem: „Haha, ich hatte recht!“. Dafür hatte Gabes in der Vergangenheit oft recht und ich nicht. Es ist eher ein: „Krass, wie intuitiv falsch manchmal unsere Einschätzung von der Welt ist.“
Und jetzt frage ich euch: Welche Geschichten erzählt ihr euch? Welche „Das-bringt-doch-alles-nichts“-Sätze geistern in euren Köpfen herum? Schreibt mir. Teilt sie mit mir. Lasst uns gemeinsam schauen, ob diese Geschichten noch stimmen. Oder ob die Welt längst weiter ist.
Denn eins habe ich von Äthiopien gelernt: Manchmal sind die vermeintlich Schwachen die wahren Vorreiter. Manchmal kommen die besten Lösungen von dort, wo wir sie am wenigsten erwarten. Und manchmal braucht es einen skeptischen Freund, um das zu erkennen.
Danke, Gabes!
Jörns
PS:
Ein anderes Resultat unseres Treffens: Gabes, praktizierender Hausarzt in Koslar im Rheinland, überlegt nun, ob er seine Hausbesuche mit einem Lastenrad durchführen wird. Vielleicht Stoff für eine Fortsetzung dieses Artikels: „Der Lastenrad-radelnde Landarzt“?!
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