Eine Geschichte erzählt von Jörn

Freitag, 18. Juli 2025

Brüder, Trekkies und die Paradoxie des Nicht-Handelns

Eine Star-Trek-Analogie zur Klimakrise

Vor einigen Wochen saß ich mit meinem Bruder Dirk auf seiner Terrasse. Es war einer dieser faulen, frühen Juninachmittage. Für belangloses Geplänkel war uns schon immer die Zeit zu schade – das war bereits in den 90ern so gewesen. Und in die täglichen Katastrophenmeldungen wollen wir uns auch nicht mehr hineinbegeben. Wir sprachen also über aktuelle Projekte, an denen Dirk gerade arbeitet, als es plötzlich still wurde.

„Weißt du noch“, sagte ich, „wenn Jean-Luc Picard heute an der Erde vorbeikäme…" Ich ließ den Satz in der Luft hängen, Dirk wusste sofort, worauf ich hinauswollte.

(Und für alle Leser:innen, die keine Fans von Star Trek, sogenannte „ Trekkies“, sind: Jean-Luc Picard war der verantwortliche Kommandant der USS Enterprise in der 90er-Jahre-Serie Star Trek „ The Next Generation“.)

Jean-Luc Picard gespielt von Sir Patrick Stewart in der TV-Serie „The Next Generation”

Jean-Luc Picard gespielt von Sir Patrick Stewart in der TV-Serie „The Next Generation”

Vor mehr als 30 Jahren studierten wir beide – Dirk Elektrotechnik, ich Maschinenbau. Aber ehrlich gesagt saßen wir öfter zusammen und träumten eher davon, was man IT-technisch alles auf die Beine stellen könne, als dass wir Mathe oder Werkstoffkunde büffelten. Klar, damals gab es jede Menge Pionierarbeit zu tun – vielleicht etwas mehr als heute – aber wir brannten auch dafür. Ein weiterer, für uns heiliger Termin war: wochentags, 15 Uhr, Star Trek „The Next Generation“ auf SAT.1. Auch das war wichtiger als jede Vorlesung.

„Er würde die Prime Directive befolgen“, ergänzte Dirk auf seiner Terrasse.

„Wahrscheinlich, ja. Weil sich der Planet, oder die Bewohner des Planeten, selber in die Scheiße geritten haben.“

Dirk trank einen Schluck von seinem Cappuccino. „Die Probleme sind menschengemacht, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber: Wir stehen nicht vor Problemen, von denen wir nicht wissen, wie wir sie lösen könnten.“

Die Prime Directive ist das oberste Prinzip der Nichteinmischung. Die Sternenflotte, der die USS Enterprise angehört, darf sich nicht in die Entwicklung fremder Kulturen einmischen, selbst wenn diese vor dem Untergang stehen. Ein philosophisches Konzept, das in der Serie immer wieder zu moralischen Dilemmata führte. Picard selbst sagte einmal:

„The Prime Directive is not just a set of rules; it is a philosophy… and a very correct one.“

Dirk und Jörn auf dem Aussichtsdeck der World Trade Center Zwillingstürme, November 1996

Dirk und Jörn auf dem Aussichtsdeck der World Trade Center Zwillingstürme, November 1996

Zurück in die 90er: Genauer, 1996. Da flogen Dirk und ich nach New York City. Zwei deutsche Studenten mit großen Träumen und kleinem Budget. Wir wussten nicht, dass es diesen neuen Star-Trek-Film geben würde. Das war ja in den 90ern noch eine andere Sache: Filme kamen erst Wochen oder Monate später in die deutschen Kinos. Und dann der erste Flash: „First Contact" sollte Premiere feiern, der erste Kinofilm mit unseren Helden rund um Jean-Luc Picard. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es nur die TV-Serie gegeben.

Filmplakat „First Contact“, 1996

Filmplakat „First Contact“, 1996

Zwei Twen-Nerds, Trekkies, und plötzlich diese Chance. Wie ein Sechser im Lotto. Flash Nummer zwei: Irgendwie ergatterten wir Tickets. Trotzdem musste ich abends vor Premierenbeginn den letzten Kerl in der Schlange fragen (die sich um drei Kanten eines Häuserblocks zog): „Habt ihr schon Tickets?" Ja, hatten sie – und zwar alle. Das Kino war einfach riesig. Es muss sich um das heutzutage geschlossene Ziegfeld Theatre mit 1131 Sitzplätzen gehandelt haben. Eine Premiere mit vielen verkleideten Trekkies: Schon die Namen der Hauptdarsteller wurden im Vorspann mit Szenenapplaus bedacht.

Kinosaal des Ziegfield Theatre

Kinosaal des Ziegfield Theatre

„Selber handeln ist wichtig“, resümierte Dirk Jahrzehnte später. „Wir haben die Lösungen, wir Menschen, aber wir handeln nicht. Wir brauchen keine außerirdische Macht, die uns aus dem Schlamassel hilft.“

Seine Worte hingen schwer in der Nachmittagsluft. Ich dachte an all die Star-Trek-Episoden, in denen es um sterbende Planeten ging, um Zivilisationen, die ihre eigene Umwelt zerstörten. Damals war das Science-Fiction. Heute sind es die Nachrichten.

Das Paradoxe an der ganzen Sache: Wir behandeln unsere eigenen Systeme wie unantastbare, natürliche Entwicklungen. „Marktkräfte“, „nationale Souveränität“ – als wären das Naturgesetze und nicht menschengemachte Konstrukte. Als dürften wir nicht eingreifen, selbst wenn es um unser eigenes Überleben geht. Als hätten wir uns selbst eine Prime Directive auferlegt.

„Also ich glaube, dass die Figur des Jean-Luc Picard eine mindestens in Teilen prägende Rolle für mich war. Für mich und mein Leben, besonders die Art und Weise, wie Picard geführt hat. Der hatte Autorität, gleichzeitig konnte er sein Team empathisch führen; das fand ich großartig..“ – Dirk Paessler

Vielleicht ist der größte Unterschied zwischen den Lebenslinien von uns Brüdern: Dirk, der Elektrotechniker, glaubt fest daran, dass wir es schaffen können. Ist Technikglaube ein gutes Schild gegen Resignation? Möglich. Ich erzähle Geschichten – und wer Geschichten erzählt, der kennt zu viele Narrative des Scheiterns. Nähert man sich auf diesem Weg schneller der Melancholie?

Was mir trotzdem Hoffnung gibt: wiederum meine Arbeit. Bei beyond content suchen wir jede Woche nach Geschichten, die Mut machen. Geschichten von Menschen, die nicht resignieren, die handeln, die Lösungen umsetzen. Und so schlecht es auch um diesen Planeten steht – solange wir jede Woche mindestens ein paar dieser Geschichten finden und erzählen können, gibt es noch Hoffnung.

Als wir damals aus dem Kino in New York kamen, waren wir voller Hoffnung. Die Zukunft schien grenzenlos, das Web steckte noch in den Kinderschuhen und die Technik würde alles lösen. Heute wissen wir es besser. Die Technik ist da, die Lösungen auch. Es gibt sogar einen Teil der Menschheit, der diese Lösungen anwenden will und würde. Aber es gibt eben auch den anderen Teil: Die, die das vorhandene Wissen über den Klimawandel ignorieren oder für falsch halten. Die, die den Kommerz über die Zukunft stellen. Es ist ja nicht so, als wären alle Menschen zu doof – aber die Mehrheit hat noch nicht verstanden, dass dieser Sommer einer der kühlsten Sommer ihres zukünftigen Lebens sein wird.

Die Nicht-Handelnden teilen sich grob in zwei Gruppen: Da sind die Ignoranten, die nur im Jetzt oder gar in der Vergangenheit leben, die Nichtstuer. Und dann gibt es die vermeintlich Cleveren, die die Erwärmung für „nicht so schlimm“ halten und sich für „Adaptation“ entschieden haben – ironischerweise die teuerste aller Lösungen für die Klimakrise. Was fehlt, ist ein kollektiver Wille.

Jean-Luc Picard würde wichtige Ziele wie die Begrenzung der Erderwärmung auch gegen Widerstände verteidigen und auf wissenschaftliche Erkenntnisse hören. „The first duty of every Starfleet officer is to the truth, whether it’s scientific truth or historical truth or personal truth!“, sagte er einmal. Wer wie er an Prinzipien festhält, aber auch praktisch denkt, kann die Krisen unserer Zeit am besten bewältigen.

Jörn und Dirk, 2025

Jörn und Dirk, 2025

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