Von der Schublade in die Welt – oder direkt ins Aus? Über ungeahnte Schätze, die Frage nach dem richtigen Umgang mit E-Waste und das Konzept „Urban Mining“
Klar, über die Aussage „In deiner Schublade liegt ein kleiner Schatz“ kann man schmunzeln. Ungefähr 30 Euro ist ein altes Smartphone im Durchschnitt wert. Aber für viele Menschen sind 30 Euro viel Geld, und wenn‘s nicht darum geht, kann man durch den richtigen Umgang mit dem E-Überbleibsel unserem Planeten einen großen Gefallen tun. Außerdem: Multipliziere die 30 Euro mal mit 200 Millionen – so viele ungenutzte Smartphones schlummern allein in deutschen Haushalten. Das entspricht also Rohstoffen im Wert von 6 Milliarden Euro. Geld, das nicht zirkuliert. Ressourcen, die nicht genutzt werden. Umweltschäden, die irgendwie umsonst waren, zumindest im Big-Picture.
Dein altes Smartphone hat mindestens drei Leben verdient. Schauen wir uns an, wo es herkommt und wohin die Reise gehen kann – und vor allem, warum deine Entscheidung mehr zählt, als du denkst.
Was du in der Hand hältst
Bevor dein Smartphone überhaupt zu dir kam, hat es schon eine Weltreise hinter sich. Ob Android oder Apple-Gerät, nimmt sich nicht viel, die Bedingungen sind einigermaßen vergleichbar. Viele Menschen mussten hart dafür schuften, teils unter schrecklichen Bedingungen. Bis zu 60 verschiedene chemische Elemente aus mehreren Kontinenten stecken in dem kleinen Gerät. Lithium im Akku, Silizium im Display, Gold in der SIM-Karte, dazu kommen noch Seltene Erden wie Europium und Terbium, 90 Prozent davon aus China.
Eine Tonne Smartphones enthält mehr Gold als eine Tonne Golderz aus einer Mine. (-> Was, und das ist jetzt sehr wichtig, kein Anreiz sein soll, sein Smartphone zu horten. Ganz im Gegenteil, siehe unten.)
Der Witz an der Sache: 80 Prozent der gesamten Umweltbelastung entstehen bereits bei der Herstellung. Wenn dein Gerät also nach zwei Jahren in die Schublade wandert, war der ökologische Aufwand irgendwie fast umsonst.

Daraus ist dein Smartphone gemacht

Und das ist die (nicht vollständige) Auflistung der enthaltenen Metalle
Die Kreuzung: Fünf mögliche Wege
Wenn du dein altes Smartphone nicht mehr brauchst, steht es an einer Kreuzung. Fünf Wege sind möglich – und sie unterscheiden sich ziemlich stark.
Weg 1: Die Schublade
44 Prozent aller Altgeräte landen hier. Warum? „Könnte ich ja nochmal brauchen“, „Da sind noch Fotos drauf“ oder einfach: vergessen. Verständlich. Aber während dein Smartphone Staub sammelt, werden anderswo neue Geräte produziert und neue Minen eröffnet. Die Schublade ist der Ort verpasster Chancen. Ich habe selbst in meiner Schublade ein altes Pixel 5 liegen, an dem außer einem kaputten SIM-Kartenhalter alles super wäre.
Weg 2: Weitergabe und Wiederverwendung
Das ist der Jackpot. Etwa 25 Prozent der Geräte finden ein zweites Leben – bei Freunden, Bekannten, Unbekannten oder über professionelle Refurbishment-Programme. Ein Smartphone drei Jahre länger zu nutzen, spart etwa 100 Kilogramm CO₂. Das entspricht rund 650 Kilometern Autofahrt.
Der Second-Hand-Markt für E-Devices boomt. Außerdem gibt‘s noch diverse Kleinanzeigen-Portale. Ich werd mir über eBay einen neuen Kartenhalter bestellen und dann mein altes Pixel über Kleinanzeigen verscherbeln. Die paar Euro, die ich damit mache, sind weniger Anreiz als der Gedanke, dass ein Mensch dieses Gerät noch easy einige Jahre nutzen wird.
Weg 3: Professionelles Recycling
Nur 12 bis 15 Prozent der Smartphones in Deutschland nehmen diesen Weg. Der Prozess ist komplex: Schreddern, Sortieren, Schmelzen, Raffinieren. Kupfer, Gold und Silber lassen sich zu 60 bis 80 Prozent zurückgewinnen. Aber von den Seltenen Erden, die so kompliziert abzubauen sind, gehen über 90 Prozent verloren. Sie sind zu gering konzentriert, zu komplex verbunden. Das ist wirtschaftlich nicht lohnenswert.
Recycling ist wichtig – aber es ist kein Wundermittel. Es ist immer noch besser, ein Gerät weiter zu nutzen, als es zu recyceln.
Weg 4: Export in den globalen Süden
Etwa 15 Prozent nehmen diesen Weg. Manche legal für eine Weiternutzung, andere illegal als getarnter E-Waste. In Ghana, auf der berüchtigten Müllhalde Agbogbloshie, verbrennen Menschen alte Elektronik mit bloßen Händen, um an verwertbare Metalle zu kommen. Man lebt dort mit schwarzen Rauchschwaden, toxischen Dämpfen und verseuchtem Grundwasser. Die Materialien, die hier „recycelt“ werden, bezahlen Menschen mit ihrer Gesundheit.
Weg 5: Restmüll
Worst Case. Nur etwa 4 Prozent der Devices landen hier, aber das ist immer noch viel zu viel. Verbrennung oder Deponie – in beiden Fällen sind alle wertvollen Materialien unwiederbringlich verloren. Die 30 Euro Rohstoffwert sind einfach vernichtet. Und die toxischen Emissionen gibt’s on-top. Smartphones und E-Zigaretten sind Hauptverursacher für Brände auf Mülldeponien.

5 Möglichkeiten, nur 2 davon findet die Katze OK
Die Zukunft heißt Urban Mining
Die Idee: Wir behandeln unsere Städte wie Minen, in denen viele Menschen leben. Klingt etwas dystopisch, ist aber eine extrem soziale Sache. „Urban Mining“ sieht vor, die wertvollen Rohstoffe, die bereits in Umlauf sind, konsequent zurückzuholen. Theoretisch könnten wir damit 10 Prozent des globalen Rohstoffbedarfs decken.
Einige Technologien werden für dieses Konzept gerade erst entwickelt. Bakterien, die Gold aus Elektronikschrott lösen. Oder chemische Prozesse, die Seltene Erden zurückgewinnen.
„Urban Mining“ bleibt größtenteils am Staat hängen, aber auch die Wirtschaft ist gefragt. Schon heute zeigen Unternehmen wie Shift oder Fairphone, dass modulare Konzepte funktionieren – sie entwickeln nur Smartphones, die du selbst reparieren kannst und deren Teile austauschbar sind.
Was du konkret tun kannst
Jetzt wird’s praktisch. Dein altes Smartphone liegt bereit. Was machst du jetzt?
Frag dich vor einem Neukauf:
- Ist der Akku das Problem? → Dann Akku tauschen; das kostet oft unter 50 Euro.
- Ist das Display kaputt? → Reparieren statt neu kaufen!
- Läuft es noch und du willst trotzdem was Neues? → Na, dann mindestens weitergeben!
Anlaufstellen:
- Sammelstellen: Wertstoffhöfe, Mobilfunkanbieter und Elektronikmärkte
- NGOs: NABU oder Deutsche Umwelthilfe haben Sammelaktionen
- Für dein altes Gerät: Mindestens mal bei Kleinanzeigen und Co. reintun und sich über viele Zuschriften freuen
- Für dein neues Gerät: Recherchiere mal Rebuy oder asgoodasnew (diese Anbieter gebrauchter Devices bieten oft längere Garantiezeiten als die Hersteller)
- Obvious, trotzdem oft vergessen: Daten löschen und Werkseinstellungen zurücksetzen!
Merk dir bitte noch „die 3-Jahres-Regel“
Jedes Jahr, das du dein Smartphone länger nutzt, spart durchschnittlich 40 Kilogramm CO₂. Drei Jahre statt zwei? Das sind 120 Kilo. Bei 40 Millionen verkauften Smartphones pro Jahr in Deutschland wären das 4,8 Millionen Tonnen CO₂ – so viel wie der jährliche Ausstoß von über einer Million Autos.
Fazit
200 Millionen Geräte in deutschen Schubladen. 1,6 Milliarden verkaufte Smartphones weltweit pro Jahr. 53,6 Millionen Tonnen E-Waste global. Die Zahlen sind gewaltig. Aber jedes einzelne Gerät zählt. Und jede Entscheidung, die du triffst. Consumer-Kampagnen haben sich des Themas angenommen, am Ende kommt’s aber auf dich an!
Dein altes Smartphone ist kein Müll. Es ist eine Ressource, ein Wertgegenstand, ein Stück verdichtete Weltgeschichte aus Dutzenden Elementen und mehreren Kontinenten. Gib ihm ein zweites Leben!
Die Reise endet nicht in deiner Schublade. Sie geht weiter – und du entscheidest, wohin.
